Pflegende Angehörige haben es nicht leicht. Häufig kümmern sich ältere Kinder neben der eigenen Arbeit und Familie um ihre pflegebedürftige Mutter oder ihren Vater. In der Regel betrifft dies die sogenannte „Sandwich-Generation“, also Kinder – und davon fast immer die Töchter – im mittleren Alter, deren eigene Kinder bereits aus dem Gröbsten raus sind. Eigentlich steht dann bei vielen die eigene Karriere wieder auf dem Plan. Wird dann aber die eigene Mutter pflegebedürftig, bringt es kaum eine Tochter übers Herz, wieder komplett in den Beruf einzusteigen. Die Alternative heißt dann in der Regel Teilzeit-Job, um Familie, Haushalt, Mutter und noch weitere Verpflichtungen irgendwie „unter einen Hut“ zu bekommen.
Wird die Doppel- oder Dreifach-Belastung dann einfach zu viel, passieren Fehler, entstehen Missverständnisse und irgendein Bereich beschwert sich darüber, „zu kurz“ zu kommen. Spätestens dann kommt der Gedanke auf, die Mutter in ein Pflegeheim zu geben. Und bei dieser Überlegung sollte niemand ein schlechtes Gewissen haben – denn nur derjenige, der gründlich darüber nachdenkt, trifft letztendlich auch die richtige Entscheidung.
Egoismus ist nicht immer schlecht
Das Wort „Egoismus“ ist in vielen Köpfen negativ behaftet. Dabei ist Egoismus keinesfalls ein Synonym für rücksichtsloses Verhalten, sondern eher ein gesundes Bewusstsein für das Wohlergehen aller. Denn was bringt es beispielsweise der pflegebedürftigen Mutter, wenn die überarbeitete Tochter zunehmend Fehler macht und selber krank wird? Vor allem scheint es Frauen schwer zu fallen, einen gesunden Egoismus an den Tag zu legen. Zu den Ursachen dieser tieferen Hemmschwelle gehören Verpflichtungsgefühle. Dabei ist es wichtig, auch die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, die pflegebedürftige Mutter von anderen sowie vielleicht sogar in einem Pflegeheim versorgen zu lassen und dies nicht als „Abschieben“ oder alleine lassen zu definieren. Es steht nämlich nicht im Gegensatz zu der Erwartung an sich selbst, eine gute Tochter, Schwester oder ein guter Sohn zu sein. Das Bedürfnis von Pflegebedürftigen, in der gewohnten Umgebung verbleiben zu können, ist nachvollziehbar. Diesen Wunsch sollte jedoch niemand vor die eigenen Bedürfnisse und Wünsche setzen. Dies, zumal eine häusliche Versorgung und Pflege durchaus durch Konzepte wie die stundenweise Betreuung oder 24 Stunden Betreuung unterstützt werden kann, wodurch Familienangehörige entlastet werden.
Bei der Frage nach der bedürfnisgerechten Pflege und Versorgung sollten auf sachliche Art und Weise alle Möglichkeiten durchdacht werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird, die allen Beteiligten gerecht wird. Hier gilt also: sich selbst keinen Druck machen, sondern die Lage sachlich beurteilen!
Häusliche Pflege oder Pflegeheim?
Manchmal entspricht es einem natürlichen Prozess, dass Angehörige in eine Pflegeaufgabe hineinwachsen. Zunächst werden nur kleine Hilfen im Haushalt geleistet. Mit der Zeit wird es aber immer mehr und schwerer, was an Aufgaben zu erledigen ist. Eine bewusste Entscheidung, die Pflege eines Elternteils zu Hause übernehmen zu wollen, gibt es dabei selten. Niemand rechnet zu Beginn damit, dass Pflegebedürftige mit der Zeit auch von einer Betreuung rund um die Uhr abhängig sind.
In anderen Fällen muss die Pflege eines nahestehenden Familienmitglieds plötzlich übernommen werden. Schlaganfälle und ähnliche Erkrankungen können unerwartet und plötzlich auftreten. Dennoch bringen sie eine Pflegebedürftigkeit mit sich, sodass sich Angehörige quasi von heute auf morgen einer neuen Lebenssituation anpassen müssen. Die Entlassung aus dem Krankenhaus bedeutet nicht immer, dass „alles wieder gut“ ist. Häufig fühlen sich die Kinder verantwortlich und handeln in einer Selbstverständlichkeit, die Betreuung zu Hause zu übernehmen. Dies geschieht jedoch ohne das Wissen, welche Aufgaben auf sie warten und mit welchen schwierigen Herausforderungen eine häusliche Pflege verbunden sein kann.
Generell sollten sich pflegende Angehörige fragen, ob
- sie physisch und psychisch in der Lage sind, die damit verbundenen zusätzlichen Aufgaben im Haushalt zu übernehmen
- sie physisch und psychisch in der Lage sind, Maßnahmen der Grundpflege (also Körperpflege und Hygiene) bei Angehörigen durchzuführen
- sie stets verfügbar sein können, die Verfügbarkeit mit Hilfe anderer Angehöriger organisiert werden kann und dies auch dann gelingt, wenn sich der Gesundheitszustand verschlechtert
Pflegende Angehörige reagieren nahezu auf alle Befindlichkeiten und versuchen, ihr Bestes zu geben. Dennoch kann die ständige Bereitschaft eine große Belastung darstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Mutter oder Vater an einer Form der Demenz leiden. Was im Anfangsstadium noch „machbar“ ist, kann bei fortgeschrittenem Stadium schnell an die Grenzen bringen. Eine Demenz geht nahezu immer mit Veränderungen in der Persönlichkeit einher. Pflegende Angehörige denken in Grenzsituationen selten an sich selbst. Insbesondere Frauen können sich schlecht aus anerzogenen Rollenerwartungen lösen, sondern verspüren Drang und Willen, immer für andere da sein zu müssen.
Bei jeder Überlegung, die mit der Versorgung eines nahen Angehörigen in Zusammenhang steht, gilt folgendes: Niemand sollte sich scheuen, sich selbst und anderen einzugestehen, dass man an seine Grenzen stößt! Bei pflegenden Angehörigen, die sich nicht frühzeitig helfen lassen, ist die völlige Erschöpfung vorprogrammiert. Und manchmal wird der Pflegebedarf einfach so hoch, dass Angehörige diese Aufgaben nicht mehr leisten können.
Alle Betreuungs- und Pflegekonzepte haben ihre Vor- und Nachteile, die jedoch in Anlehnung an den Einzelfall überdacht werden müssen:
Häusliche Pflege durch Angehörige
- vertrautes Umfeld
- Flexibilität von pflegenden Angehörigen, die auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse eingehen
- individuell gestalteter Tagesablauf
- Kombinationsmöglichkeit mit ambulanten Pflegediensten oder Mahlzeitendiensten
- Physische, psychische und zeitliche Belastung der eigenen Familie durch Pflege und Versorgung
Pflege im Pflegeheim
- medizinische und fachpflegerische Versorgung ist gewährleistet
- Sicherheit durch zeitnahes Handeln im Notfall durch Fachpersonal
- seniorengerecht/behindertengerecht angepasstes Umfeld und Hilfsmittel bereits vorhanden
- Entlastung der eigenen Familie
- soziale Kontakte zu Gleichaltrigen bzw. in gleicher Lebenssituation
- Tagesablauf wird strukturiert
Wichtig ist, dass bei der Entscheidung für eine häusliche Versorgung durch Angehörige oder aber einen Umzug in ein Pflegeheim Ruhe bewahrt und alle Eventualitäten abgewogen werden. Im Vordergrund sollten immer Bedürfnisse und Wünsche von pflegebedürftigen Betroffenen stehen.
Wer sich für die häusliche Betreuung entscheidet, der sollte auf jeden Fall über unterstützende Leistungen nachdenken, um beispielsweise auch Pflege und Beruf miteinander vereinbaren zu können. Sinnvoll ist es auch trotz der Entscheidung für die häusliche Versorgung sich frühzeitig zu informieren, wo sich in der Nähe Institutionen für Kurzzeitpflege, Nachtpflege und andere Hilfen befinden. Wer sich für den Umzug in ein Altenheim entscheidet, der sollte vorher die Einrichtung genau überprüfen.
Alten- oder Pflegeheim sorgfältig auswählen
Ein geeignetes Alten- oder Pflegeheim zu finden, ist in Zeiten von Platzmangel und Fachkräftemangel sicherlich nicht einfach. Erster Anlaufpunkt kann die Krankenkasse sein, die über Listen aller infrage kommenden Einrichtungen in der Nähe verfügt. Bei der Prüfung der jeweiligen Einrichtung sollte darauf geachtet werden, dass
- aussagekräftiges Informationsmaterial zur Verfügung gestellt werden kann
- alle Fragen ausführlich beantwortet werden
- man beim Besuch vor Ort mit Angestellten und Bewohnern sprechen kann
- Zimmer, Gemeinschaftsräume und sanitäre Einrichtungen besichtigt werden können
- Freizeitmöglichkeiten angeboten werden
- Besuche jederzeit möglich sind
- der Umgang des Personals mit den Bewohnern den eigenen Ansprüchen entspricht (wie man miteinander redet)
Leider sind insbesondere in den letzten Jahren immer wieder Berichte veröffentlicht worden, wonach es in Heimen zu desolaten Situationen für die Bewohner gekommen ist. Um das Risiko, in der falschen Einrichtung zu landen, zu reduzieren, bieten sich insbesondere unangekündigte Besuche an.
Betreuung und Pflege zu Hause durch Angehörige
Der wohl größte Vorteil der häuslichen Versorgung ist, dass die pflegebedürftige Mutter nicht aus ihrem vertrauten Umfeld, das ihr Sicherheit gibt, herausgenommen werden muss. Zu Hause fühlen sich Menschen sicher und geboren. Sie sind von ihren Erinnerungsstücken umgeben und erhalten eine soziale Stütze durch Nachbarn, Freundin, Bekannte, Schwestern, Vereine und liebgewonnene Routinen. Wenn Mutter oder Vater nicht in ein Altenheim will und es der Gesundheitszustand zulässt, dass eine häusliche Versorgung organisiert werden kann, sollten alle Unterstützungsmöglichkeiten überprüft und genutzt werden.
Eine „kleine“ Unterstützung kann die stundenweise Betreuung bieten, bei der versierte Alltagshelfer und -begleiter Aufgaben im Haushalt, im Alltag oder auch in der Freizeit übernehmen. Die stundenweise Betreuung kann täglich, wöchentlich oder auch zwischendurch vereinbart werden, was viel Flexibilität mit sich bringt. Wenn beispielsweise die Mutter gemeinsam mit ihrer Alltagsbegleiterin einen entspannten Spaziergang macht, kann sich das versorgende Familienmitglied ausruhen und um sich selbst kümmern. Die weitaus umfangreichere Unterstützung und Entlastung stellt hingegen die 24 Stunden Betreuung dar, bei der die Kinder eigentlich gar nichts mehr im Bereich Haushalt, Grundpflege oder Versorgung mit Mahlzeiten machen müssen. Dies wird von der Betreuungskraft übernommen, die mit im Haushalt lebt und sich um die vorab vereinbarten Aufgaben kümmert. Töchter, Söhne, Enkel und andere Verwandte können sich dann wieder auf Besuche und gemeinsame Freizeitaktivitäten konzentrieren.
Für die medizinische Fachpflege kann die häusliche Versorgung mit einem ambulanten Pflegedienst kombiniert werden. Selbst Physiotherapeuten, Logopäden und sonstige Therapien und Anwendungen sind zu Hause möglich. Und während ein Hausnotruf für noch mehr Sicherheit sorgt, kann sich ein Mahlzeitendienst um das leibliche Wohl von Pflegebedürftigen kümmern.
Fazit
Sowohl die häusliche Betreuung durch Familienangehörige als auch die Unterbringung im Heim können Vorteile und Nachteile haben. Die emotionale Entscheidung, einen nahestehenden Menschen in fremde Hände zu geben, müssen Familien allein treffen. Wichtig ist hierbei, seine eigenen Bedürfnisse auch ohne ein schlechtes Gewissen zu berücksichtigen. Der Mensch kann viel leisten – aber eben auch nicht alles. Zuneigung und Liebe in der Beziehung zu einem Familienangehörigen dürfen nie so weit gehen, dass die eigene physische und psychische Gesundheit darunter leidet. Schuldgefühle sind hier bei sachlicher und neutraler Überlegung völlig fehl am Platz.
Natürlich muss auch der gesundheitliche Zustand Berücksichtigung finden. Chronisch fortschreitende Krankheiten wie etwa eine Demenz lassen sich im frühen Stadium noch gut händeln, sind aber im Laufe der Zeit mit körperlichen und psychischen Ausnahmesituationen verbunden. Auch wenn Pflegebedürftige nicht in ein Heim möchten, sollten sich Familienangehörige dennoch in diesem Bereich erkundigen. Denn wenn sich der gesundheitliche Zustand verschlechtert, müssen ansonsten Entscheidungen „übers Knie“ gebrochen werden.
Die Versorgung zu Hause kann dann wunderbar funktionieren, wenn die Familie zusammenhält und alle Möglichkeiten der Unterstützung, wie etwa durch eine stundenweise Betreuung oder durch eine 24 Stunden Betreuung ausschöpft. Pflegebedürftige Senioren können so ihren Lebensabend im Kreise ihrer Lieben verbringen. Zumindest kann aber eine stationäre Unterbringung hinausgezögert werden.